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Der Gegenstand der Untersuchung untersucht sich selbst

Markus Erbach, publiziert Januar 2025 exklusiv auf www.prim.consulting (Copyright, Kopie und Weitergabe untersagt)

Markus Erbach 1982, Federzeichnung 40 x 60 cm

Die Illustration wirkt auf mehreren Ebenen und visualisiert die Grenzen menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis direkt im Bild und im Verhältnis des Bildes zu seinem Betrachter.

Nach der Systemtheorie existiert in der Umwelt keine „Information“, sondern es gibt nur nur Reize und Signale. Jedes wahrgenommene Signal oder Ereignis wird als sinnvolle Information von einer wahrnehmenden Person nur subjektiv erlebt. „Information“ entsteht als Ergebnis individueller Sinnproduktion ausschließlich im Kopf des Menschen aus der Interpretation von Lichtpunkten, Schallwellen und Materie. Nach dieser Logik ist das Erleben von „Wirklichkeit“ oder „Sinn“ im individuellen Bewusstsein nur in dem Maße mit anderen teilbar, in dem kulturelle und persönliche Voraussetzungen von Menschen als Gemeinsamkeitsmerkmale oder vergleichbare Sozialisationsgrundlagen ähnlich sind. Erst dann kann „das gemeinsame Erlebnis" funktionieren: als eine mit anderen geteilte Illusion im Erleben jedes Einzelnen.

Auch für Charles Peirce (1839-1914), den Begründer der “Lehre vom Zeichen” (Semiotik), bestimmen praktische Konsequenzen einer Handlung oder Wirkungen eines natürlichen Ereignisses die Bedeutung menschlicher Gedanken: Man sieht, was einem nützt oder was man nach der eigenen subjektiven Erfahrung und Wahrnehmung von Wirklichkeit erwartet („Pragmatismus“ nach Peirce). Seine „Pragmatische Maxime“ von 1878 in “How to Make Our Ideas Clear” verdeutlicht dies:

“Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstands.”

Der Mensch erkennt sich nur in einem Gegenüber, durch die Erfahrung seiner Wirkung und Grenzen. Erst wenn das Sein als bloße Existenz (Primisense nach Peirce, „Erstheit“) im Verhältnis zu einem Gegenüber erfahrbar wird (Altersense nach Peirce, „Zweitheit“), kann Bewusstheit und Erkenntnis entstehen, im Verhältnis und im Austausch mit einem Anderen (Medisense nach Peirce, „Drittheit“). Inspiriert durch Aristoteles entwickelte Peirce später seine Zeichentheorie, die Semiotik: Nach der triadischen Zeichenrelation steht ein Objekt im Verhältnis zu seinem Interpretant und seinem entsprechenden Mittel der Umsetzung, dem Repräsentamen. Durch die Limitierung individueller Wahrnehmung durch die Grenzen des eigenen Bewusstseinssystems, bleibt auch „wissenschaftliche Objektivität“ einem Individuum (d.h. lat. Un-Teilbares) immer nur im Rahmen des individuell verfügbaren Zeichenvorrats zugänglich und kann nur subjektiv erlebt werden: „Objektivität“ ist zwar als Illusion in der Wahrnehmung vieler Einzelner verallgemeinerbar (wie die Illusion des Gemeinsamen, vgl. oben), tatsächlich aber sind objektive wissenschaftliche Fakten ebenfalls immer nur subjektiv interpretierbar.

In der Federzeichnung ist der Mensch der Gegenstand der Untersuchung, der sich selbst untersucht: Er bleibt in seinem Bewusstseinssystem gefangen und kann sich nur innerhalb der Grenzen seiner eigenen Wahrnehmung und ihrer Interpretation im eigenen geschlossenen Kreislauf verstehen. In der dargestellten Szene gibt es nur das vorgestellte eigene Wahrnehmungsorgan als reflexives „Gegenüber“ (d.h. das eigene Ich-Bewusstsein als Alter Ego), symbolisiert durch den Augapfel, das der Schädel anschaut und das auf diesen zurück blickt. In dieser Endlosschleife der eigenen kognitiven Gefangenheit reflektiert das Subjekt seine Wahrnehmung in absurder Weise mit der eigenen Reflektion - es gibt kein Entrinnen. Der Augapfel unten im Bild ist ist ein Symbol der Erkenntnis, der Schädel oben steht als Memento Mori-Symbol für das Vergängliche.

Es ist schließlich der Betrachter der Zeichnung, der das dargestellte System erweitert: Das Bild verstrickt ihn in den Dialog mit seinem Objekt der Betrachtung und wird symbolisch das, was für den abgebildeten Schädel der Augapfel ist. Formal zeigt die Szene sprichwörtlich eine Nature Morte (franz. Stillleben), eine künstlich arrangierte Form von Objekten, die im Sog turbulenter Linien nach unten das Gegenständliche verdichten und nach oben auflösen.

Tatsächlich sehen wir nichts anderes, als in Linienform geordnete schwarze Punkte auf einer hellen Fläche, die uns auf Papier oder einem Bildschirm präsentiert werden - sonst nichts.

Als ein Angebot für unsere eigene Sinnproduktion.

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Vorlage für die Zeichnung war ein antiker Totenschädel, der auf ein altes Mikroskop gesetzt wurde, der Augapfel auf dem Exponat-Träger des Mikroskops entsprang der Phantasie. Die ironische Darstellung der Grenzen menschlicher Erkenntnis trug ursprünglich den Titel „Er traut seinen Augen nicht". Der 2015 dazu verfasste Essay basiert auf Erkenntnissen der Systemtheorie und Kommunikationswissenschaft.

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